Vampir in Untermiete
Prolog
Verworren ist er, der Traum, der sie seit vielen Jahren durch ihr Leben begleitet. Ein Haus ragt vor ihr auf, sie betrachtet es mit sehr gemischten Gefühlen. Dunkel und abweisend steht es vor ihr, scheint sie durch seinen Anblick verjagen zu wollen und erreicht geradewegs das Gegenteil damit. Es fasziniert sie, zieht sie magisch an, bindet sie an sich.
Bis der rätselhafte Fremde in ihrem Blickfeld auftaucht. Sie kann sein Gesicht nicht klar erkennen, es ist undeutlich und verschwommen, doch alles an ihm ist ebenso dunkel und abweisend, wie das Haus. Seltsamerweise fürchtet sie sich auch vor ihm nicht, sie geht auf ihn zu, streckt die Hände nach ihm aus, scheint ihn um etwas zu bitten.
Dunkle Wolken ziehen über dem geheimnisvollen Gebäude auf, der Fremde scheint sich langsam vor ihren Augen aufzulösen, verschmilzt mit den Wolken zu einer grauen Einheit. Ein Blitz zerreißt die Dunkelheit, taucht das unheimliche Haus in ein unwirkliches Licht, schlägt direkt in den Dachstuhl ein. Feuer lodert auf, das Dach beginnt zu brennen.
Sie geht langsam weiter auf das Haus zu. Es ist wie ein innerer Zwang, nichts kann sie aufhalten. Sie öffnet die Haustür und betritt das alte Gebäude.
Ein Seufzen geht durch die Mauern. Das Haus ist zufrieden, es hat bekommen was es wollte, sein Wille ist geschehen.
Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Ein ungutes Gefühl breitet sich in ihr aus. Es ist nicht so wie es sein sollte. Ihr wird klar, dass sie gefangen ist. Das Haus ist das Gefängnis, der Fremde der Wärter.
Entsetzen breitet sich in ihr aus. Sie rennt zurück zu der Tür, durch die sie das Haus betreten hat. Ihre Hand ergreift die Klinke, drückt sie herunter. Nichts rührt sich, die Tür ist verschlossen. Mit den Fäusten schlägt sie auf das Holz ein, schreit um Hilfe, kratzt sich die Fingerspitzen blutig.
Hitze erfasst sie. Überall diese alles verzehrende Hitze. Sie lehnt sich dagegen auf, aber die Hitze ist stärker, lässt nicht von ihr ab, erstickt ihre Hilferufe.
1. Kapitel
Es war einer dieser nebelverhangenen Tage, die zu Irlands alltäglichen Leben gehören wie das Meer, die saftigen grünen Wiesen und Wälder, die diesem Land vor langer Zeit seinen Namen gegeben haben: Die grüne Insel.
Und das ist sie wirklich, grün. Von einem unbeschreiblichen, intensiven Grün, das jeden in seinen Bann zieht der es einmal gesehen hat. Die sanften Hügel, die ausgedehnten Moore, die langgestreckten Küstenlandstriche, und über allem der graublaue Himmel der so typisch ist für dieses einzigartige Land.
Nur wenige können sich dem Zauber dieser Insel im Atlantik entziehen und die, die einmal dort waren, kommen immer wieder. Doch kein Fremder empfindet die Liebe zu diesem Land so tief wie ein Ire.
Niemand kann die Intensität der Heimatliebe der Iren nachfühlen. Keiner versteht den unüberwindlichen Wunsch nach Rückkehr, nach immer währender Anwesenheit in der Heimat. Nur der Tod kann einen Iren von der Sehnsucht nach seinem Land, seiner Heimat, seiner Kultur trennen. Doch auch nach dem Tode ist er weiterhin mit dem was er am meisten liebt verbunden, mit der Erde Irlands.
Einigen Wenigen jedoch ist es gelungen, auch nach dem Tod ein Dasein in ihrer Heimat zu führen. Heimlich und vor den Augen der Lebenden verborgen, nisten sie sich in alten Ruinen und unbewohnten Häusern ein und führen ein einsames, fremdartiges Leben.
Aengus O`Donaghue ist eines dieser Wesen. Kein lebender Mensch, kein Toter... ein Vampir.
Seit über 350 Jahren fristete er ein Unleben als Blutsauger, die letzten sechzehn Jahre dieses Daseins verbrachte er in einem alten, seit langem unbewohnten Haus. Sein jetziges Leben bot ihm kaum Abwechslung und er sehnte sich nach etwas neuem in seiner einseitig, tristen Existenz. Aus diesem Grund stellten Bücher die größte Herausforderung für ihn dar. Wenn er ein Buch zu lesen begann, konnte er in eine andere Rolle schlüpfen, Gefühle erleben die ihm bisher fremd waren, eine neue Identität annehmen.
Auch an jenem ereignisreichen Tag, ging er seiner Lieblingsbeschäftigung nach und saß kurz vor Einbruch der Dämmerung, in einen alten Klassiker vertieft, in einem Ohrensessel im Keller. Er las seit mehreren Stunden ohne Unterbrechung, doch seine Augen wurden nicht müde, sein Geist blieb unbegrenzt bei der Sache. Erschöpfung kannte er nicht.
Um ihn herum herrschte Totenstille, kein noch so kleines Geräusch durchbrach diese einzigartige Stille. Das Haus lag weit ab vom nächsten Ort, nur eine kleine, selten befahrene Straße, führte nahe daran vorbei.
Hin und wieder wurde die Einsamkeit des Vampirs von einem vorbeifahrenden Auto unterbrochen, doch er kümmerte sich nicht weiter um die Geräusche der Fahrzeuge. Sie stellten für ihn keine Bedrohung dar, und seine Beute suchte er sich anderen Ortes.
Aus diesem Grund ignorierte er auch den Wagen der sich gerade dem Haus näherte. Der Fahrer würde wie so viele vor ihm an seinem Haus vorbeifahren, und es nicht weiter beachten. Kaum einer würdigte das alte Gebäude eines Blickes, geschweige denn einer eingehenden Betrachtung. Der graue Stein, aus dem es erbaut war, wirkte dunkel und trostlos auf den Betrachter. Seine massive, klobige Form verführte ebenfalls nicht zu einer längeren Besichtigung. Von dem insgesamt heruntergekommenen Äußeren ganz zu schweigen.
Der perfekte Wohnort für ein Wesen wie Aengus O`Donaghue, und er war froh diesen Zufluchtsort gefunden zu haben. Hier konnte er seine Neigungen vollkommen ungestört ausleben und war trotzdem nicht gezwungen das, seiner Meinung nach, unwürdige Leben eines, nach menschlichem Ermessen, blutrünstigen Monsters zu führen. Lange hatte er nach einem derart geeigneten Ort als Unterschlupf gesucht und war nun nicht geneigt ihn wieder zu verlassen.
Darum schreckte er auch aus seiner stoischen Ruhe auf, als er bemerkte, das der Wagen nicht wie gewohnt an dem Haus vorbeifuhr, sondern langsam auf dem Grundstück davor ausrollte.
Wachsam geworden, lauschte er auf die Geräusche, die zu ihm herunter drangen.
Zwei Autotüren wurden geöffnet und wieder zugeschlagen. Stille. Schritte näherten sich dem Gebäude, hielten inne, Stimmen wurden laut.
Obwohl sich der Vampir im Keller des Hauses befand, konnte er jedes Wort deutlich verstehen. Sein Gehör war sehr fein und um vieles besser, als das eines Menschen.
"Nun sehen Sie sich dieses Prachtstück an. Läge es nicht so abgelegen, hätte ich es mit Sicherheit schon lange an den Mann gebracht. Das erklärt auch den geringen Preis. Die Bausubstanz ist übrigens bestens, die Renovierung dürfte nicht sehr viel kosten. Eine Kleinigkeit hier, eine Kleinigkeit dort und schon ist es wieder wie neu. Am besten sehen wir uns das Goldstück gleich mal von innen an. Habe ich eigentlich schon erwähnt, das die Inneneinrichtung des Vorbesitzers ebenfalls im Kaufpreis enthalten ist?" pries eine männliche Stimme, das Haus an.
Aengus setzte sich in seinem Sessel kerzengerade auf, legte das Buch auf den Tisch neben sich und lauschte der Dinge die da kamen.
"Ich weiß nicht. Es sieht nicht gerade aus als wäre es mit einer kleinen Renovierung getan. Wie steht es zum Beispiel um das Dach?" erwiderte eine weibliche Stimme.
Aengus geübtes Gehör erkannte sofort, das diese Stimme einer jungen Frau gehörte. Belustigt über die unerwartete Abwechslung, lehnte er sich wieder in seinem Sessel zurück und genoss das Geschehen. Hier drohte ihm keine Gefahr und er konnte unbemerkt die Vorgänge dort oben verfolgen. Es bestand mit Sicherheit nicht die Gefahr, das die Frau das Haus kaufen würde. Sie würde sich eine Weile von dem Makler beschwatzen lassen, doch spätestens wenn sie sich das völlig heruntergekommene Innere des Hauses ansah, würde sie auf dem Absatz kehrt machen und auf nimmer wiedersehen verschwinden.
"Das Dach ist in tadellosen Zustand, da kommen in den nächsten Jahren keine zusätzlichen Kosten auf Sie zu. Wie ich schon erwähnte, gehört das Mobiliar ebenfalls zum Kaufpreis. Also bleiben Ihnen auch in dieser Beziehung sämtliche Nebenkosten erspart. Genau genommen müssen Sie nur eine unerhebliche Summe in die Reinigung der Räume investieren. Vielleicht noch ein paar kleine Anschaffungen, und das wäre es dann auch schon. Wenn das kein Angebot ist!"
"Ich werde mir auf alle Fälle das Haus auch von innen ansehen, dann können wir noch einmal über den Kaufpreis reden. Falls ich dann überhaupt noch zu einem Kauf bereit bin." entgegnete die Frau selbstbewusst.
Sehr gut, sie ließ sich wenigstens nicht sofort von dem Kerl beschwatzen. Vielleicht bot sie ihm noch etwas mehr Unterhaltung an diesem Tag. Fast wünschte er sich, er könnte ihr Gesicht sehen, wenn sie den ersten Blick auf die völlig verdreckte Halle warf.
Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf seinem schmalen Gesicht aus. ‘Nun, man kann nicht alles haben.’
Er hörte wie jemand einen Schlüssel ins Schloss steckte und ihn herumdrehte. Das Quietschen der, mittlerweile rostigen Angeln, verriet Aengus das die Türe geöffnet wurde.
Es würde nun noch eine Weile dauern, bis jemand die Fensterläden öffnete um das letzte Licht des Tages in die Halle zu lassen. Darauf folgte mit Sicherheit ein entsetzter Aufschrei und das Gezeter einer aufgelösten Frau. Ja, in dieser Reihenfolge sah er es kommen.
Schmunzelnd legte er die Handinnenseiten aneinander und wartete ab, ob seine Vorhersage eintraf.
"Kommen Sie nur herein und sehen Sie sich um. Ist diese Halle nicht einfach überwältigend? Ein paar hübsche Bilder an den Wänden, eine nette Garderobe und man fühlt sich sofort willkommen geheißen."
Die junge Frau schien nicht der selben Meinung zu sein und äußerte ihre Zweifel sehr nachdrücklich: "Bei dieser Finsternis kann kein Mensch die Halle beurteilen. Sie müssen schon ein wenig Licht hereinlassen, oder die Beleuchtung einschalten."
"Mit Elektrizität kann ich im Moment nicht dienen, Miss Ensworthy. Da dieses Gebäude schon eine Weile leer steht, wurde der Strom natürlich abgestellt." erklärte der Makler. "Wenn Sie es jedoch wünschen, ist es mir ein Vergnügen die Fensterläden für Sie zu öffnen."
Und schon vernahm der Vampir im Keller, das Knarren der widerspenstigen Läden. ‘Gleich wird die Frau...!’
"Stimmt, in die Reinigung werde ich Geld investieren müssen. Und zwar verdammt viel, wie es hier aussieht. Ich kann nur hoffen, das die Halle nicht der ordentlichste Aufenthaltsort im Haus ist." kam sie zur Sache. "Sie sagten, die Einrichtung gehört zum Kaufpreis?" erklang ruhig und gelassen die angenehme Stimme der Frau.
Erstaunt ließ der Vampir die Hände sinken.
"Ja, das ist richtig."
"Ich sehe hier allerdings keine Einrichtung. Nicht einmal die Garderobe, die mich willkommen heißt." entgegnete sie schlagfertig.
‘Gut pariert!’
"Ich muss gestehen, hier in der Halle ist nicht viel übrig geblieben. Allerdings ist das in den restlichen Räumen etwas anderes. Kommen Sie, sehen wir uns das Wohnzimmer an." forderte der Makler die Frau eifrig auf.
Aengus konnte hören wie sich die Schritte der Beiden auf das Wohnzimmer zu bewegten.
"Ich hoffe es macht Ihnen nichts aus sich die restlichen Räumlichkeiten mit einer Taschenlampe anzusehen? Ich kann nicht wegen jedem Interessenten die Fensterläden öffnen und schließen. Sie verstehen?“
‘Ein kleiner, mieser Trick, mein Freund. Mal sehen ob sie darauf hereinfällt.’
"Es tut mir wirklich leid, aber das kann ich nicht verstehen. Entweder ich kann mir alles bei dem wenigen verbleibenden Tageslicht ansehen, oder wir vergessen die Sache!" kam scharf die Erwiderung.
‘Mm, eine Frau die sich durchzusetzen weiß.’
"Nun gut, ich werde für Sie eine Ausnahme machen. Es ist zwar nicht üblich, da es doch ziemlich anstrengend ist jedes mal die großen Fensterläden zu öffnen und wieder zu schließen, aber wenn Sie darauf bestehen."
Schritte bewegten sich durch das Zimmer. Angestrengtes Stöhnen und Ächzen drang zu Aengus herunter. Der Vampir konnte sich lebhaft vorstellen welchen Kraftaufwand das dem Makler abverlangte. Er kannte die riesigen Fensterläden im geräumigen Wohnraum aus eigener mühseliger Erfahrung. Schließlich hatte er sie vor Jahren zugezogen um das Tageslicht auszusperren.
"Ich habe in den letzten Wochen zehn Interessenten dieses Haus gezeigt, und keiner hielt es für nötig dazu die Fensterläden zu öffnen." schimpfte der Mann leise vor sich hin.
Aengus konnte sich nicht erinnern, dass er auch nur einmal in den letzten Jahren, einen Makler oder etwaige Kauflustige hier gesehen hatte. ‘Offensichtlich ist die junge Dame an einen gerissenen Geschäftemacher geraten.’ Obwohl er dem Mann zugestehen musste, das dieses Haus tatsächlich in einem allgemein guten Zustand war. Im Grunde waren wirklich nur unerhebliche Reparaturen zu verrichten. Wenn man mal davon absah, das ein unerwünschter Untermieter im Kaufpreis inbegriffen war. Doch dieses Problem würde sich der jungen Frau nicht stellen. Mit Sicherheit lag ihr das Gebäude zu abgelegen, war der hässliche Kasten ihr das Geld nicht wert. Es gab viele Gründe aus denen sie das Haus nicht kaufen würde. Er brauchte sich also nicht die Mühe machen sie davonzujagen. Sein Leben erfuhr heute etwas Abwechslung, das war alles.
Ein Rumpeln riss den Vampir aus seinen Gedanken und veranlasste ihn dazu seinen Kopf zu heben und interessiert in Richtung Decke zu sehen.
Anscheinend waren die Fensterläden nun offen. Hoffentlich war noch etwas von ihnen übrig geblieben.
"Ich hoffe die werden nicht immer so schwierig zu öffnen sein!" meinte die Frau, mit schelmischen Unterton in der Stimme.
"Keineswegs, Miss Ensworthy! Ein wenig Öl und das geht wieder wie geschmiert. Sie werden sehen, es handelt sich immer nur um kleinere Schäden, die leicht zu beheben sind." versicherte der Makler atemlos von der Anstrengung.
Ein kurzer Augenblick der Stille trat ein. Sie schien sich den Raum zu betrachten. Wenn sie einen geübten Blick besaß, würde sie sehr schnell feststellen, das die Bücher in den Regalen von einigem Wert waren. Die Regale selbst konnte man mit ein bisschen Arbeit und Möbelpolitur schon bald wieder auf Hochglanz bringen. Einige der Einrichtungsgegenstände jedoch waren so sehr vom Lauf der Jahre gezeichnet, das sie nur noch dem Sperrmüll zugeführt werden konnten. An all den Staub und Verfall in diesem, sonst sehr gemütlichen Raum, mochte Aengus gar nicht erst denken. Wie würde sie auf den, nicht sehr erfreulichen Anblick, der sich ihr nun bot reagieren?
"Ich schätze, es wird ein Vermögen für Putzmittel draufgehen. Aber das Zimmer scheint die Mühe wert zu sein. Mal sehen wie es im Rest des Hauses aussieht. Wohin führt die Schwingtür?" erklang die ruhige Stimme der Frau.
"In die Küche. Ich muss zugeben, sie ist nicht gerade auf dem neuesten Stand der Dinge. Jedoch sehr praktisch und absolut benutzbar."
Die Türe quietschte leise in den Angeln.
"Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie auch hier Tageslicht wünschen?" fragte der Makler vorsichtig.
"Die Küche ist einer der Räume in denen man die meiste Zeit des Tages verbringt, folgerichtig ist anzunehmen, das ich gerade sie, genau in Augenschein nehmen möchte. Also bitte, machen Sie sich die Mühe und öffnen Sie die Fensterläden!" forderte sie streng.
Wenigstens musste sich der Makler diesmal nicht so anstrengen. Die Fensterläden waren um einiges kleiner als die im Wohnzimmer und bei weitem besser erhalten. Es dauerte nur einen Moment und Aengus konnte hören, wie sie gegen die Hausmauer schlugen.
"Na ja, mal abgesehen davon, das die Küche nur einen alten Gasherd besitzt, scheint doch alles in Ordnung zu sein. Den übrigen Komfort kann man nach und nach selbst hinzufügen. Wie viele Zimmer hat dieses Haus eigentlich?"
"Im Erdgeschoß haben wir den Wohnraum und die Küche, und im 1.Stock befinden sich das Schlafzimmer, sowie Bad und Toilette. Und dann haben wir da noch den Keller. Er ist ein echtes Juwel an Geräumigkeit. Drei Zimmer, jedes etwa so groß wie die Küche, sogar mit Heizung. Aus diesem Keller muss man geradezu etwas machen, es ist als hätte man drei zusätzliche Zimmer. Der einzige Nachteil besteht darin, das der Keller nicht über Fenster verfügt. Aber ich denke wir sehen uns sowieso zuerst die Zimmer im 1.Stock an." schlug der Makler der jungen Frau vor.
"Was ich bisher gesehen habe scheint dem geringen Kaufpreis angemessen. Wenn die oberen Räume sich in keinem wesentlich schlechteren Zustand befinden, denke ich , können wir über einen eventuellen Kauf des Gebäudes reden."
Das passte keineswegs in die Pläne von Aengus O`Donaghue.
"Nun, dann sollten wir nicht lange zögern." trieb der Makler begeistert zur Eile. "Gehen wir nach oben."
Schritte wanderten durch den Wohnraum, betraten die Halle und erklommen die Treppe zum 1. Stock.
"Gleich hier haben wir das Badezimmer. Sie werden sogar beim Licht der Taschenlampe zugeben müssen, dass es in einem Top Zustand ist. Sicher ist es nicht nötig dass wir auch hier die Fensterläden öffnen."
"Sie haben recht, das Bad ist nicht nur in einem guten Zustand, es wirkt bei dieser Beleuchtung sogar als wäre es geputzt worden. Erstaunlich, da die unteren Räume keineswegs in einer derartigen Verfassung sind. Wieso ist dieser Raum so erstaunlich sauber?" fragte die Frau interessiert nach.
Auf die Antwort war auch Aengus gespannt. Der Makler konnte schließlich nicht wissen, dass er das Bad in der Vergangenheit des Öfteren benutzt hatte.
"Nun ich denke das ist leicht zu erklären. In einem durchgehend gefliesten Raum, der nur mit den nötigsten Möbeln bestückt ist, fängt sich der Staub nicht so leicht und lässt ihn darum nicht so heruntergekommen wirken." versuchte der Makler, den seltsamen Sachverhalt zu erklären. Und das schien er wirklich gut gemacht zu haben.
"Sie haben recht, das könnte eine Erklärung für dieses Phänomen sein. Nun gut, besser so, als wenn es wie unten aussehen würde. Dann nehmen wir uns jetzt wohl am besten noch das Schlafzimmer und den Keller vor. Ich denke es wird nicht nötig sein im Schlafzimmer extra die Fensterläden zu öffnen. Soviel anders als in den restlichen Zimmern wird es dort auch nicht aussehen."
"Sehr gut! Na, dann wollen wir mal. Hier entlang, bitte."
Aengus kannte den Zustand des Zimmers nur zu gut. Mit putzen alleine war es hier nicht getan. Er durfte gar nicht an das Bett denken, oder besser an das was sich auf dem Bett befand. Aber das würde der jungen Frau wohl entgehen, da sie ausgerechnet bei diesem Zimmer nicht darauf bestand die Fensterläden zu öffnen.
Auch begann Aengus sich langsam Sorgen über das Verhalten der Frau zu machen. Sie schien einem Kauf keineswegs abgeneigt zu sein. Bisher hatte er nicht angenommen das sich jemand finden würde, der dieses Gebäude freiwillig übernahm. Er glaubte bis zum Abriss des Hauses seine Ruhe zu haben, doch nun war da eine unerwartete Gefahrenquelle aufgetaucht. Der Gedanke an einen Verkauf seines Heims war ihm keineswegs recht, er musste etwas dagegen unternehmen. Es handelte sich bei diesem Gebäude nicht nur um seinen Unterschlupf, von hier aus plante er sein Vorgehen gegen die verhasste Gilde. Diese kleine Gruppe von auserwählten Vampiren maßte sich an, die Gesetze der Wesen der Nacht zu erstellen und für ihre strikte Einhaltung zu sorgen. Was vollkommen gegen Aengus Einstellung zum Leben sprach. Er war ein Verfechter seiner uneingeschränkten Freiheit und ließ sich keine Vorschriften machen. Von Niemandem! Was wiederum dazu führte, das die Gilde in ihm so etwas wie einen Außenseiter sah, der ihnen zur Gefahr werden konnte.
Nervös geworden, begann er in dem Kellerraum auf und ab zu laufen. Er versuchte eine Möglichkeit zu finden, die Frau von einem Kauf abzuhalten. Doch so sehr er auch sein Gehirn zermarterte, es wollte ihm kein Geistesblitz kommen.
Plötzlich stockte er in der Bewegung.
Weshalb sollte er die Frau vertreiben? Unter Umständen war der Kauf seines Hauses das Beste was ihm passieren konnte. Ein Mensch, der ein altes, verrufenes Gebäude übernahm, und sogar dort wohnte, wie jeder normale Mensch, war ein Aushängeschild. Es würde das Gerede mit der Zeit verstummen lassen. Solange sie gesund und munter in dem Haus lebte, würde kaum jemand auf die Idee kommen, das hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Nun gut, er würde sich mit ihr arrangieren müssen, aber was war diese kleine Einschränkung schon gegen das heimliche Flüstern, das immer mehr Leute im Dorf gegen ihn aufhetzte. Das Problem mit der Gilde konnte er trotz ihrer Anwesenheit in diesem Haus, auf seine ganz spezielle Weise angehen. Dessen war er sich sicher. Er hatte nicht vor in den nächsten Jahren seinen Plan in die Tat umzusetzen, dafür war die Zeit noch nicht reif. Was hielt ihn also davon ab, die Frau als Schutzschild gegen die Abneigung der Dorfbewohner zu benutzen?
Ein zufriedenes Lächeln glitt über seine hageren Gesichtszüge und in seinen Augen flimmerte ein satanisches Feuer.
Auch in anderer Beziehung sollte er Recht behalten. Sie begutachtete das Schlafzimmer zwar noch, bemerkte jedoch die Schäden nicht.
"Jetzt bleiben nur noch die Kellerräume, dann haben wir das ganze Haus besichtigt." ertönte die geschäftsmäßige Stimme des Maklers.
Dem musste Aengus einen Riegel vorschieben. Das Letzte was er im Moment brauchen konnte, waren zwei unerwünschte Besucher in seinen heiligen Gefilden. Der Vampir wusste, dass es ein schweres Stück Arbeit werden würde, ohne Augenkontakt den Willen der Frau zu manipulieren, aber er war sich seiner weitreichenden Fähigkeiten voll bewusst und gedachte sie einzusetzen.
Mit einer geschmeidigen Bewegung legte er Zeigefinger und Mittelfinger beider Hände an seine Schläfen und konzentrierte sich angespannt auf die weibliche Person in den oberen Räumen. Er benötigte ein paar Sekunden, bis er ihren Geist zu fassen bekam, dann lenkte er ihn in die gewünschte Richtung.
"Wir sparen uns den Keller. Ich denke dass es dort schon nicht so schlimm aussehen wird." sagte sie folgsam.
Der Blutsauger spürte den Unwillen, der bei diesen aufgezwungenen Worten über sie kam und musste einen Augenblick mit ihrem Geist um die nächsten Sätze ringen.
"Alles in allem gefällt mir das Haus ganz gut. Allerdings werden wir über den Kaufpreis noch einmal reden müssen. Die Arbeit, die ich in dieses Haus noch stecken muss, um es wirklich bewohnen zu können, dürfte doch bei weitem größer als von Ihnen beschrieben sein. Sie werden also wohl oder übel noch ein gutes Stück runtergehen müssen mit dem Preis." war das Letzte was Aengus von der jungen Frau an diesem Tag vernahm.
Die Beiden verließen das Haus und machten sich wieder auf den Heimweg, wo immer sie dieser hinführen mochte. Und keiner von ihnen ahnte in diesem Moment, das sich im Keller des Hauses ein Wesen befand, das sich zufrieden in einen Ohrensessel zurücklehnte und mit seinen Gedanken neue Wege suchte um auf viele Jahre unauffällig und gesichert sein sonderbares Leben zu führen.
Copyright © by Sylvia Seyboth
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